regenporträt
By Jan Wagner
erscheint als handkuß, als sanfter stubser,
erinnerungsgischt: denke daran,
wo du herkommst, lurch.
oder galoppierend, als donnernde horde,
dem kaiser zu holen, was des kaisers ist,
bis alles in die hauseingänge flieht
im schutz von zeitungen und aktentaschen:
wer lauschen darf am offenen fenster,
ahnt, daß er zwar trocken,
das wetter aber längst in ihm ist.
der gullis musikalisch werden läßt,
wäsche von den leinen hebt und flüsse
aus ihren betten, den geheimen duft
von erde und asphalt enthüllt;
läßt pilze, moose, weinbergschnecken wuchern,
macht umrisse kenntlich: wo er aufhört,
beginnen wir.
der über land zieht wie ein zirkus,
spektakel und vorhang zugleich,
schnürboden des großen wetter-
und wandertheaters; der den blonden
dunklere haare und kahlen
den glanz von billardkugeln schenkt;
den hühnern ein käfig, der hühner nicht einsperrt.
so oft vorhergesagt, doch keine
kirche, die auf ihm gründet.
für feine ohren noch zu hören,
beugst du dich nah genug hinab,
gesang von buckelwalen, gletscherkalben—
der geysir über nordamerika
läßt von shanghai bis rom die schirme blühen.
in jedem tropfen das ganze buch wasser,
partikel, pollen, all der dreck der welt.
auferstehung—die leichteste übung.
schlummert einstweilen in autoreifen
und starrt aus pfützen und zisternen
zurück auf den eigenen ursprung,
derweil die bäume noch stundenlang
vertieft sind in ihr selbstgespräch.
das tröstende rauschen zwischen den sendern,
der wind im künftigen wald.
Notes:
“regenporträt” is reprinted with permission of Hanser Berlin. Jan Wagner, Steine & Erden. © 2023 Hanser Berlin in der Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München.
Source: Poetry (April 2024)